Ein Blick nach Charkiw
Unsere Mitarbeiterin Frau Olena Mendeleva kommt gebürtig aus der Stadt Charkiw, der zweitgrößten Stadt in der Ukraine mit 1,5 Millionen Einwohnern. Bereits am ersten Tag des russischen Angriffs (24.02.2022) wurde diese wunderschöne Stadt mit Raketen aus Russland angegriffen. Die Stadt ist nur 70 km von Russland entfernt. Olena Mendeleva, die bereits seit 20 Jahren in Deutschland lebt, schilderte uns im Gespräch, wie Sie die Situation als gebürtige Ukrainerin wahrnimmt und welche Informationen Sie von Ihren Bekannten in Charkiw erhalten hat.
Frau Medeleva, Sie haben Kontakt zu Freunden und Bekannten in Charkiw: Welche Informationen haben Sie zu den Angriffen erhalten?
Die Raketen haben zuerst fast das ganze Industrie- und Wohngebiet zerstört, dadurch haben viele Menschen ihre Arbeit und Wohnungen verloren. Die meisten Händler haben Ihre Geschäfte geschlossen und es sind nur noch 2 – 3 Apotheken geöffnet, sodass der Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten sehr schwer ist.
Wie wird den Menschen vor Ort geholfen?
Vor Ort sind viele die ehrenamtlich helfen! Eine Bekannte von mir kümmert sich um die psychische Unterstützung der Menschen, denn viele trauen sich nicht mehr auf die Straße, weil sie Angst vor Angriffen und Raketeneinschlägen haben.
Ein absoluter Ausnahmezustand für die Menschen.
Ja es ist ein absoluter Ausnahmezustand für die Menschen und auch für viele Haustiere. Die Tierheime können die Tiere nicht einfach freilassen, da es sonst zu Streit um das Essen zwischen den Tieren und Menschen kommen kann. Dadurch ist das Verletzungsrisiko zu hoch. Die Tierheime benötigen Unterstützung und Futter für die Tiere, um diese zu verpflegen.
Gibt es noch Möglichkeiten, die Stadt zu verlassen?
Bis jetzt wurden schon viele Leute evakuiert und konnten die Stadt verlassen. Leider haben nicht alle die Möglichkeit über die Grenzen zu kommen, da Männer zwischen 18 bis 60 Jahren das Land nicht verlassen dürfen. Dem Sohn einer Bekannten ist genau dies passiert und die Mutter will die Stadt ohne Ihren Sohn nicht verlassen.
Meine ehemalige Arbeitskollegin möchte gerne nach Deutschland kommen, aber die Flucht ist sehr schwer. Zudem lebt Ihre 80-jährige Mutter auch in der Ukraine, da die Mutter die Stadt aber nicht verlassen will, bleibt die Tochter bei Ihr, weil Sie ihre Mutter nicht alleine in der Stadt zurücklassen möchte.
Sind Sie im Kontakt mit Menschen aus der Ukraine, die hier in Dortmund angekommen sind?
Ja, ich kenne eine Familie mit zwei Kindern aus Kiew, die in Dortmund eine Wohnung gefunden haben. Beide Kinder wurden beim Schulamt angemeldet. Die 19-jährige Tochter hat in der Ukraine bereits auf einem Berufskolleg Ihr Wirtschaftsabitur begonnen und hätte in zwei Monaten Ihren Abschluss gemacht und wollte danach gerne an einer Uni studieren. Sie hat sich in Dortmund eine Wohnung gesucht und an einer Berufsschule angemeldet, um ihr Abitur in Deutschland abzuschließen. Leider fehlen ihr die Papiere vom Berufskolleg aus der Ukraine, dadurch kann sie in Deutschland nicht nachweisen, dass sie in der Ukraine bereits das Abitur angefangen hat. Erst wenn sie die Papiere aus der Ukraine zusammen hat, kann sie das Abitur hier beenden und ein Studium beginnen.
Wie können wir den Menschen vor Ort in der Ukraine helfen?
Ich habe mit meiner Familie ein Hilfspaket mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln, Kleidung und Spielzeug in die Ukraine verschickt. Wenn man Geld oder ein Paket direkt an Angehörige verschicken möchte, ist das leider nicht möglich, da diese keine Möglichkeit haben an das Geld oder die Pakete zu kommen. Es wird keine Post mehr ausgetragen, die Poststellen und Banken haben geschlossen und die Geldautomaten sind alle leer. Dennoch kümmert sich der Staat darum, dass die Leute, die nicht geflüchtet sind, immer Strom, Gas und Wasser haben. Wenn eine Rakete einer dieser Güter beschädigt, kommen direkt Fachleute vorbei und reparieren diese.
Vielen Dank für diese Einblicke, Frau Mendeleva!